Inflation und Energiepreise

Zentrale Forderungen

  • Die Politik muss auf die steigenden Energiepreise reagieren
  • Für eine verlässliche Energieversorgung zu akzeptablen Preisen muss Praxisnähe über Ideologie siegen
  • Ausbau der Wind- und Solaranlagen, da sie mittlerweile günstiger sind als fast alle anderen Energieträger
  • Angehen der Strukturprobleme der erneuerbaren Energien durch Ausbau der Stromspeicher
  • Übergangsweise Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke
  • Unterstützungszahlungen an Haushalte sind notwendig, aber nicht ausreichend
  • Eine Übergewinnsteuer geht in die richtige Richtung, noch besser wäre es, wenn die Energiekonzerne übergangsweise gar keinen Gewinn machen dürften.
  • Die Energiesteuern müssen übergangsweise ausgesetzt oder jedenfalls deutlich gesenkt werden, auch wenn das zu Lasten der Schuldenbremse geht

 

Meine ausführliche Position

In Deutschland können wir uns an viele Jahre mit relativ stabilen Preisen erinnern. Aber schon in den letzten Jahren haben wir es mit deutlich steigenden Preisen zu tun gehabt, beispielsweise bei den Wohnkosten oder den Lebensmitteln.

Mittlerweile bringen vor allem steigende Energiepreise viele Haushalte an die Belastungsgrenze und darüber hinaus. Energie ist Leben. Nahezu für alle Produkte wird Energie benötigt. Deswegen führen steigende Energiepreise zwangsläufig zu steigenden Preisen für fast alle Waren, von Kleidung über Lebensmittel bis hin zu Elektroartikeln.

Am meisten merken wir aber, dass Strom, Gas und Öl selbst deutlich teurer geworden sind. Eine geheizte Wohnung und der Weg zur Arbeit drohen unerschwinglich zu werden. Die Politik darf hier nicht tatenlos zusehen. Sie muss handeln.

Der unmittelbare Auslöser einer Preiserhöhung ist oft, dass eine steigende Nachfrage auf ein zu knappes Angebot trifft oder dass das Angebot sich bei gleichbleibend hoher Nachfrage verknappt. Das spielt bei der aktuellen Energieinflation eine große Rolle, da der Bezug russischer Energieträger stark rückläufig ist. Dieser schnelle Rückgang kann nicht nahtlos durch andere Quellen ausgeglichen werden. Deswegen wird von einigen Politikern die Forderung erhoben, die Sanktionen gegen Russland zu beenden und die Pipeline Nord Stream 2 zu öffnen.

Ich bin nicht für diesen Vorschlag. Aber die Reaktion von großen Teilen der Politik und der Medien – reflexartige Ablehnung inklusive moralischer Diffamierung der Vorschlagenden – ist auch nicht angemessen. Denn beide Seiten haben Argumente für ihre Position. Wir dürfen Putins Angriffskrieg nicht unterstützen. Aber wir haben natürlich auch eine Verantwortung für unsere Heimat. Rentner sollen in ihrer Wohnung nicht frieren und Schülerinnen nicht in kalten Klassenzimmern lernen.

Wenn wir also die freiheitliche Gesellschaftsordnung verteidigen und Putins Angriffskrieg so gut wie möglich ausbremsen wollen, müssen wir bereit sein, strukturelle Probleme in der deutschen Energiepolitik anzugehen. Das Ziel muss eine verlässliche Energieversorgung zu akzeptablen Preisen sein. Das setzt auf allen Seiten Ehrlichkeit voraus. Praxisnähe muss über Ideologie siegen. Wir müssen anerkennen, dass erneuerbare Energien Probleme mit sich bringen, die es bei Kohle, Öl und Atomstrom so nicht gab. Umgekehrt müssen wir einsehen, dass wir (wenigstens übergangsweise) stärker in den Strommarkt eingreifen müssen, als das in einer marktwirtschaftlichen Ordnung üblich ist.

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Als erstes müssen wir die verlässliche Energiemenge erhöhen. Der wichtigste Baustein für bezahlbare Energie ist der Ausbau der Windkraft und der Solaranlagen. Wind- und Solarenergie sind mittlerweile günstiger als nahezu alle anderen Energieträger – ausgenommen maximal die Kohle bei günstiger Lage der Lagerstätten, die aber sehr klimaschädlich ist. Dieser Ausbau ist in den letzten Jahren zu langsam verlaufen, da man sich auf das russische Gas verlassen hat. Er muss jetzt vorangetrieben werden. Das geschieht auch. Die Ampelkoalition hat dazu mit dem „Osterpaket“ wichtige Maßnahmen eingeleitet. Weitere Schritte müssen und werden folgen.

Wir müssen uns aber der Tatsache stellen, dass der Output von Wind- und Solaranlagen witterungsbedingt stark schwankt. Dieser Tatsache wurde bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien muss also von einem Ausbau der Energiespeicher begleitet werden. Hier ist bisher viel zu wenig geschehen. Denkbar sind zentrale Speicher (etwa eine Power-to-Gas-Anlage an jedem Windpark) ebenso wie dezentrale Speicher (beispielsweise private Akkus in den Haushalten verbunden mit intelligenten Stromzählern, die den Strom dann abnehmen, wenn er im Überfluss vorhanden ist). Ingenieurtechnisch gibt es hier gute Lösungen. Wir müssen sie nur umsetzen. Somit können wir dann auch die so genannte Sektorkopplung voranbringen und beispielsweise Gasheizungen mit selbst erzeugtem Gas betreiben oder durch Wärmepumpen ersetzen.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien und vor allem der Speicher wird trotz größter Anstrengungen weitere Zeit in Anspruch nehmen. Für den Übergang brauchen wir grundlastfähige Kraftwerke. Das kann nur die Atomkraft leisten. Es war im Rückblick ein Fehler, zuerst aus der Atomkraft und dann aus der Kohleverstromung auszusteigen. Die verbliebenen Atomkraftwerke sollten für die nächsten 12 bis 18 Monate bis zur Überwindung der Energiekrise weiterbetrieben werden, sofern alle Sicherheitsüberprüfungen dies zulassen. Langfristig ist Atomkraft aufgrund der Endlagerproblematik und des statistischen Restrisikos eines Störfalls aber keine Lösung.

Schließlich müssen wir den Haushalten dabei helfen, Energie einzusparen. Einer sinnvollen Förderkulisse für die Wärmedämmung von Häusern und Wohnungen kommt eine große Bedeutung zu. Wahrscheinlich können nahezu alle Haushalte darüber hinaus Strom einsparen. Es sollten möglichst viele Haushalte kostenlos zum Stromsparcheck (eine sehr sinnvolle Einrichtung, die von der Caritas getragen wird und bei uns im Wahlkreis beispielsweise bei der Diakonie Preetz angeboten wird). Wir brauchen ein Förderprogramm zum Austausch alter Elektrogeräte für Haushalte mit geringem Einkommen. Das reduziert den Stromverbrauch in der Breite und die Haushalte sparen richtig Geld dabei.

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Und damit kommen wir zum Preis. Langfristig werden sich die Energiepreise über den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Speicher stabilisieren, weil die verlässliche Energiemenge steigt. Kurzfristig hilft das der Wirtschaft und den Haushalten aber nicht. Wir müssen Haushalte und Unternehmen dabei unterstützen, durch die Übergangsphase zu kommen. Es kann nicht sein, dass viele Menschen nur noch für Wohnung, Energie, den Weg zur Arbeit und Lebensmittel arbeiten. So ist das in einer sozialen Marktwirtschaft nicht gedacht.

Dabei sind Unterstützungszahlungen an Haushalte, die an das Einkommen gekoppelt sind, aus meiner Sicht nicht ausreichend. Ich sehe ein, dass wir das machen müssen, aber es gibt auch Nachteile. Es gibt schwierige Abgrenzungsprobleme, wer Zahlungen erhalten soll. Das Zuteilen von Geldsummen wirkt willkürlich. Der Staat ist nicht auf Augenhöhe. Wir schaffen immer neue Gruppen, bis die Gesellschaft gar keine gemeinsamen Interessen mehr vertreten kann.

Wie schon bei der Stromenge, haben wir bei den Preisen strukturelle Probleme und dafür brauchen wir strukturelle Lösungen. Wir müssen aus meiner Sicht direkt in den Preismechanismus eingreifen. Viele Energiekonzerne und Stadtwerke sind privatisiert und bewegen sich mit dem Ziel der Gewinnmaximierung am Markt. Die derzeitige Situation bietet für sie viele Möglichkeiten zur Preisgestaltung. Deswegen geht die Idee einer Übergewinnsteuer in die richtige Richtung.

Und wir sollten aus meiner Sicht noch weiter denken. Die Energiekonzerne könnten deutlich stärker reguliert werden. Die Rüstungsindustrie hat ein Preismodell, in dem sie Gerät zum Selbstkostenpreis an die Bundeswehr abgibt, plus einige Prozent Gewinnanteil. Ein solches Modell könnte man übergangsweise auf die Energiekonzerne übertragen. Energie wäre dann übergangsweise zum Selbstkostenpreis abzugeben. Da auch der aktuelle Selbstkostenpreis höher liegen würde als der Marktpreis des letzten Jahres, gäbe es nach wie vor einen Anreiz zum Energiesparen.

Alternativ oder ergänzend sollten wir darüber nachdenken, einen Grundverbrauch an Gas für Haushalte mit einer Preisdeckelung zu versehen. Da ein darüber hinausgehender Verbrauch mit dem Marktpreis abgerechnet werden würde, gäbe es auch hier einen Anreiz zum Energiesparen.

Übrigens kann man aus gutem Grund argumentieren, dass Unternehmen der Daseinsvorsorge zurück in die öffentliche Hand gehören. Das ist ein langfristiges Projekt. Ich spreche mich für eine Stärkung der kommunalen und gemeinwohlorientierten Infrastruktur im Energiebereich aus. Insbesondere die Netzbetreiber sollten in das öffentliche Eigentum zurückgeführt werden, da sie ein natürliches Monopol besitzen.

Die Energiesteuer sollten wir auf das europarechtliche Minimum absenken. Die Mehrwertsteuer auf alle Energieträger sollte für die nächsten 18 Monate auf 7% festgelegt werden, wenn man sie nicht gleich aussetzen möchte. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas halte ich für richtig und gut. Die Gasumlage muss vom Staatshaushalt getragen werden.

Selbstverständlich sind diese Maßnahmen mit der Schuldenbremse nicht vereinbar. Das muss an dieser Stelle klar gesagt werden. Finanzminister Christian Lindner muss sich entscheiden, was ihm wichtiger ist: Die Verteidigung der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte in der Ukraine und weltweit gegen die totalitäre Aggression – oder die Einhaltung der Schuldenbremse zum 01.01.2023. Die Schuldenbremse – für und gegen die es gute Argumente gibt – kann aus meiner Sicht frühestens ab dem Ende der Energiekrise eingehalten werden.

Die gegenwärtige Energiekrise ist ein Belastungstest für unsere freiheitliche und zivilisierte Gesellschaftsordnung. Ich bin mir sicher: Wir werden diesen Test bestehen. Wenn wir den Mut haben, pragmatische und verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen, wird die Krise sehr schnell vorbei sein.

Letzte Aktualisierung: 20.08.2022