Wie weit sind wir mit der Integration im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter? In diesem Zusammenhang habe ich mit dem Mädchenhaus Kiel gesprochen, das vom Verein Lotta e.V. betrieben wird. Seit mehr als 30 Jahren berät und beherbergt das Mädchenhaus Mädchen und junge Frauen, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind. In der Zufluchtsstätte werden Mädchen und junge Frauen im Alter von 13 bis 20 Jahren untergebracht. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt wird dann die Situation geklärt und die Mädchen bleiben dann tageweise oder mehrere Wochen im Mädchenhaus, bis eine Lösung gefunden wird, beispielsweise eine Familientherapie oder der Umzug in eine Folgeeinrichtung.
Etwa ein Drittel der Mädchen hat einen Migrationshintergrund. Dies ist unter Berücksichtigung der Bevölkerungszusammensetzung größerer Städte in dieser Altersgruppe nicht auffällig. „Körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt kommt sowohl in deutschen Familien als auch in Familien mit Migrationshintergrund vor“, sagt Frau Peschel, Betreuerin im Mädchenhaus. Gefahren für Mädchen gehen heute aber auch vermehrt vom Wandel der Technologie aus. Mädchen und junge Frauen werden heutzutage auch über das Handy oder das Internet gestalkt und verfolgt.
Die größte Gruppe nach den deutschen Mädchen und jungen Frauen, die im Mädchenhaus beraten oder betreut werden, hatten früher einen türkischen Hintergrund. Heute sind es syrische Mädchen und junge Frauen. Dort sind die familiären Probleme ebenso breit gefächert wie bei den deutschen Familien. Ein Teil von ihnen ist jedoch auch, bedingt durch patriarchale und sehr traditionelle familiäre Wertevorstellungen, zusätzlich von Gewalt im Namen der Ehre und (drohender) Zwangsverheiratung betroffen. „Die Bedrohungssituation für diese Mädchen und jungen Frauen hat sich grundsätzlich durch die Zuwanderung der letzten Jahre nicht verändert“, sagt Frau Peschel. „Diese Gewalt im Namen der Ehre kennen wir seit der Gründung des Mädchenhauses vor über 30 Jahren. Wenn sich traditionelle und patriarchale Strukturen verfestigt haben, tragen sie sich leider meist über Generationen weiter.“
Manchen Mädchen droht der Tod, wenn sie mit den Rollen- und Ehrvorstellungen ihrer Familien brechen. „Wir haben in der Inobhutnahme jedes Jahr acht bis zehn solche Fälle“, so Frau Peschel. Viele Mädchen müssen aus Angst vor ihrer Familie anonym in einer anderen Stadt leben. Zusätzlich zur Angst um das eigene Leben und der Furcht vor Entdeckung leiden die jungen Frauen unter dem Verlust sämtlicher sozialen Kontakte. Die versuchte oder vollzogene Tötung weiblicher Familienangehöriger ist unter dem Namen ‚Ehrenmord‘ in den Medien bekannt geworden.
„Mädchen und junge Frauen, die von Gewalt im Namen der Ehre betroffen oder bedroht sind, brauchen eine besondere Unterstützung und Beratung sowie fachlich erfahrene Schutzeinrichtungen“, sagt Frau Peschel weiter. „In der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Mädchen und jungen Frauen muss jede Situation einzeln betrachtet werden. Familien mit Migrationshintergrund sind mit ihren Problemen und Gewaltformen, aber auch mit ihren Lösungs- und Klärungswünschen und ihrem Bedarf nach Hilfe und Unterstützung ebenso breit gefächert wie Familien ohne Migrationshintergrund.“ Daher ist es Frau Peschel wichtig, dass Familien mit Migrationshintergrund, insbesondere mit muslimischen Hintergrund, nicht unter Generalverdacht gestellt werden: „Dies würde nicht den Tatsachen entsprechen. Gewalt im Namen der Ehre ist kein religiöses Problem, sondern ein Problem von Macht und patriarchalen Strukturen und zum Teil von Verunsicherung und falsch verstandener Sorge um die Zukunft der Tochter. Ich habe in meiner jahrelangen Tätigkeit auch Gewalt im Namen der Ehre in sehr konservativ christlichen Familien erlebt.“
Frau Peschel weist darauf hin, dass es Gesetzesveränderungen gegeben hat, die die Vorbereitung einer Zwangsverheiratung durch den §237 des Strafgesetzbuchs unter Strafe stellen. „Das war ein gutes und richtiges Signal“, so Frau Peschel, „dennoch stehen wir weiterhin vor dem Problem, da sich bestimmte Gruppen von Gesetzen nicht beeindrucken lassen. Diese Familienstrukturen brechen sich erst über mehrere Generationen auf, hier müssen wir die Jugendlichen unterstützen und das ist auch die Aufgabe des Mädchenhauses. Ich glaube schon, dass sich über Generationsfolgen etwas verändern kann.“
An dieser Stelle muss die Politik sehr klar Position beziehen. Es ist ein wesentliches Merkmal einer freiheitlichen und zivilisierten Gesellschaftsordnung, dass Menschen selbst entscheiden, mit wem sie zusammenleben möchten. Es ist daher ein Fortschritt, dass die Zwangsverheiratung mittlerweile unter Strafe gestellt wurde. Juristen kritisieren allerdings, dass die typischen Täter nicht über die Strafbarkeit ihres Verhaltens nachdenken würden, da dies in ihrem Kulturkreis ein erlaubtes Verhalten darstelle. Die Strafwürdigkeit ihres Verhaltens wirke sich somit kaum bis gar nicht auf ihr Verhalten aus. Die praktische Relevanz des Verbots wird daher nur als sehr gering eingeschätzt.
Zwangsverheiratungen und so genannte Ehrenmorde sind aus meiner Sicht Anzeichen eines dramatischen Scheiterns von Integration. Hier haben sich Parallelgesellschaften ausgebildet, die nicht geduldet werden können. Ich kritisiere sowohl die Integrationsverweigerung einzelner Zugewanderter als auch die mangelnde Bereitschaft des deutschen Staates, für zentrale Werte des Grundgesetzes einzustehen. Es gibt nichts Unehrenhafteres als den so genannten Ehrenmord. Ich bin hier gedanklich bei der Höchststrafe des Strafgesetzbuchs. Immer mehr Gerichte gehen dazu über, aufgrund der besonderen Verwerflichkeit der Motive eine „besondere Schwere der Schuld“ festzustellen. Ich halte das auch für richtig. Einen „Kulturrabatt“ für Straftäter darf es nicht geben. Darüber hinaus rate ich zu einer strikteren Kontrolle des Staates in der Frage, wer nach Deutschland und Europa einreisen darf.
Ein weiterer wichtiger Baustein zum Schutz betroffener Mädchen sind Aufklärung und Schutz durch Einrichtungen wie das Mädchenhaus. Hier sollten die Strukturen ausgebaut werden. Gerade vor der Sommersaison suchen viele Mädchen die Einrichtung auf, beispielsweise weil sie vor einer Reise in den Irak fürchten, dass sie dort zwangsverheiratet werden. In fast jedem Bundesland gibt es eine Fachberatungsstelle für von Zwangsverheiratung bedrohte Mädchen – in Schleswig-Holstein nicht. (Ich hätte hier durchaus auch einige Fragen an die an der Landesregierung beteiligten Grünen.) Aus meiner Sicht sollte in unserem Bundesland so schnell wie möglich eine solche Beratungsstelle geschaffen werden. Als Bundestagsabgeordneter werde ich mich für die Förderung einer solchen Einrichtung einsetzen.